Deutsche Unternehmen haben über Jahrzehnte hinweg massiv in den Vereinigten Staaten investiert – mehr als dreimal so viel wie amerikanische Firmen in Deutschland. Doch dieser Trend gerät zunehmend ins Wanken.
Seit dem späten 19. Jahrhundert produzieren deutsche Unternehmen in den USA. Heute betreiben tausende deutsche Firmen Werke auf amerikanischem Boden, was rund zwölf Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen in den Vereinigten Staaten ausmacht. Traditionsmarken wie BMW und Mercedes-Benz haben seit Langem Fabriken in den USA. Selbst der Süßwarenhersteller Haribo eröffnete 2023 nach jahrzehntelangem Export seiner Gummibärchen eine erste Produktionsstätte in Wisconsin.
Aktuelle Entwicklungen jedoch führen dazu, dass viele Unternehmen ihre bisherige Investitionsstrategie überdenken. Umfragen zeigen, dass deutsche Hersteller ihre Investitionspläne in den USA zurückfahren und jene, die dort bereits tätig sind, ihre wirtschaftlichen Aussichten deutlich pessimistischer bewerten.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer befragt regelmäßig rund 6.000 in den USA aktive deutsche Unternehmen zu deren Einschätzung der wirtschaftlichen Lage. Laut Volker Treier, Außenwirtschaftschef der Kammer, war das Stimmungsbild über Jahre hinweg positiv. Doch seit der Einführung der ersten US-Zölle unter Ex-Präsident Trump habe sich die Lage merklich eingetrübt.
Besonders hart trafen die Importzölle die Automobilbranche. Hersteller wie BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen haben seither mehrfach Gespräche in Washington geführt, um eine Entlastung bei den Abgaben zu erreichen. Beide – Mercedes und Volkswagen (inklusive der Marke Audi) – ziehen in Betracht, die Produktion bestimmter Modelle komplett in die USA zu verlagern. Das Weiße Haus sieht in solchen Plänen einen Beleg für die Wirksamkeit seiner wirtschaftspolitischen Maßnahmen.
Abseits der großen Autobauer sind es auch zahlreiche mittelständische deutsche Firmen, die Produkte in den USA fertigen. Ihr Beitrag zu den deutschen Direktinvestitionen ist beachtlich: 2023 belief sich deren Gesamtvolumen auf rund 657,8 Milliarden US-Dollar – mehr als das Dreifache der amerikanischen Investitionen in Deutschland, die im gleichen Zeitraum 193,1 Milliarden US-Dollar betrugen.
Diese Differenz dürfte eine zentrale Rolle in den laufenden Zollverhandlungen zwischen Bundeskanzler Friedrich Merz und Donald Trump spielen. Trump hat das Handelsdefizit – also die Tatsache, dass Deutschland deutlich mehr Waren in die USA exportiert als umgekehrt – erneut ins Zentrum seiner wirtschaftspolitischen Agenda gerückt.
Parallel dazu nimmt das Interesse deutscher Unternehmen an Investitionen in Nordamerika spürbar ab. Laut einer Deloitte-Umfrage unter 216 Finanzvorständen planen derzeit nur noch 19 Prozent Investitionen in Nordamerika – ein Rückgang gegenüber 25 Prozent im Vorjahr.
Ein Grund dafür könnte die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz sein, die erst vor wenigen Tagen ihr Amt angetreten hat. Ihr erklärtes Ziel ist es, Bürokratie abzubauen und die hohen Energiepreise zu senken – zwei Faktoren, die Investitionen im Inland wieder attraktiver machen. Hinzu kommt ein geplantes Investitionspaket über 500 Milliarden Euro, das in den kommenden zwölf Jahren für Infrastrukturprojekte zur Verfügung stehen soll.
Ob diese Entwicklung anhält, bleibt abzuwarten. Möglich ist eine Kehrtwende in den kommenden Wochen – etwa wenn die 90-tägige Aussetzung der US-Zölle im Juli endet oder falls es der EU und den USA gelingt, ein neues Handelsabkommen auszuhandeln. Bei ihrem ersten Telefonat seit dem Amtsantritt von Kanzler Merz betonten dieser und Trump laut Berliner Regierungsangaben die gemeinsame Absicht, die bestehenden Handelskonflikte rasch beizulegen.
Ein Beispiel dafür, wie sich deutsche Unternehmen an veränderte Rahmenbedingungen anpassen, liefert der Werkzeughersteller Stihl. Dank eines eigenen Werks im US-Bundesstaat Virginia konnte das Unternehmen die negativen Auswirkungen der US-Zölle deutlich abmildern.
Ungeachtet der politischen Unsicherheiten bleibt festzuhalten: Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Deutschland und den USA ist eng – doch das Gleichgewicht könnte sich in naher Zukunft verändern.
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